Urininkontinenz: Die verschiedenen Formen und Ursachen
Nicht nur im Alter ein Problem
Inkontinenz ist noch immer ein Tabuthema. Wenn auch die Häufigkeit mit höherem Alter zunimmt – auch jüngere Frauen sind betroffen. Urininkontinenz liegt vor, wenn unwillkürlicher Harnabgang zum sozialen oder hygienischen Problem wird. So definiert die Internationale Kontinenzgesellschaft Urininkontinenz, ohne sie mit Häufigkeiten oder Mengen in Zusammenhang zu setzen.
Ihren Symptomen entsprechend unterscheidet man zwischen mehreren Formen.
Von Stressinkontinenz spricht man, wenn – wie zum Beispiel beim Husten oder Niesen - durch den plötzlichem Druckanstieg im Bauchraum dieser erhöhte Druck den Verschlussdruck der Blase übersteigt. Auch Lageveränderungen wie Aufstehen aus dem Sitzen, das Heben von schweren Gegenständen oder springen und laufen können so zu ungewolltem Harnverlust führen.
Bei der Dranginkontinenz kommt es durch eine „überaktive Blase“ zu einem oft nicht mehr kontrollierbaren Harndrang, der in der Folge zum Harnverlust führt.
Von gemischter Inkontinenz spricht man bei einem Mischbild aus Stress- und Dranginkontinenz.
Urininkontinenz ist unter anderem eine Folge von Beckenbodenschwäche, die häufig mit einer Senkung der Beckenorgane einhergeht. Eine Senkung liegt dann vor, wenn eine Struktur oder ein Organ innerhalb des Beckens tiefer als seine normale Position tritt. Harnblasen- und Darmfunktionsstörungen, eine gestörte Sexualfunktion und Schmerzen unterschiedlichster Art können die Folge sein.
Die Ursachen von derartigen Vorfallerkrankugen und Inkontinenz sind vielfältig. Schwangerschaften und Entbindungen können einen entscheidenden Einfluss auf die Entstehung von diesen Krankheitsbildern haben, wobei die Größe des Kindes, die Dauer der Geburtsphase und die Benutzung von Zangen und Vakuum eine mögliche Rolle spielen. Aber auch chronischer Husten, chronische Obstipation, Atemwegserkrankungen (die zu einer Druckerhöhung im Bauchraum führen) Übergewicht, Nikotinabusus oder chirurgische Eingriffe sind Risikofaktoren.
Eine wesentliche Rolle spielt auch das Alter. Der Alterungsprozess kann am Beckenboden mit einem Verlust von Kollagenfasern einhergehen. Nach den Wechseljahren kann dieser Effekt durch mangelnde Östrogene verstärkt werden.
Physiotherapeutin Waltraud Kranebitter über die Beckenbodenrehabilitation als Therapieform bei Inkontinenz:
„Der Beckenboden muss trainiert werden.“
Waltraud Kranebitter arbeitet als Physiotherapeutin in Bozen mit Schwerpunkt im urologischen, gynäkologischen und proktologischen Bereich.
„Die Südtiroler Frau“: Wie können Beckenbodenschwäche und eine daraus resultierende Inkontinenz behandelt werden?
Waltraud Kranebitter: Physiotherapeutische Maßnahmen im Sinne einer Bodenbeckenrehabilitation sollten der erste Therapieansatz sein, um die Aufgaben des Beckenbodens wieder neu zu schulen. Eine medikamentöse Behandlung ist nur im Zusammenhang mit der Drangblase sinnvoll. Bei Stressinkontinenz ist eine Rehabilitation die Basistherapie der Wahl. Natürlich gibt es auf lange Sicht auch operative Lösungsmöglichkeiten. Dadurch wird aber nur die Symptomatik behandelt, nicht aber die Ursache. Wenn der Beckenboden zu schwach ist, muss er trainiert werden, damit er wieder Halt geben kann.
„Die Südtiroler Frau“: Welche Aufgaben hat der Beckenboden?
Waltraud Kranebitter: Der Beckenboden muss die Gewichte der inneren Organe tragen, die auf ihm lasten. Und er muss plötzlichen Druckanstiegen, wie beim Niesen oder Husten, Gegenhalt geben. Auch muss er in der Füllungsphase der Blase die Harnröhre gut verschließen sowie beim Entleeren loslassen und sich öffnen können.
„Die Südtiroler Frau“: Wie kann der Beckenboden trainiert werden?
Waltraud Kranebitter. Mit gezielten Übungen, die Schritt für Schritt erlernt werden können. Alleiniges „Zusammenzwicken“ ist zu wenig!!
„Die Südtiroler Frau“: Wann ist ein geeigneter Zeitpunkt für einen Therapiebeginn?
Waltraud Kranebitter: Vorbeugen ist besser als heilen. Günstig wäre es, wenn eine Frau nach einer Geburt, auch nach einem Kaiserschnitt, mit einer Rückbildungsgymnastik beginnen würde um ehest möglich das Muskelgleichgewicht und die Kraft von Beckenboden und Bauchmuskulatur wieder zu erlangen. Bei Auftreten einer Inkontinenz ist es natürlich günstig, so früh als möglich mit der Therapie zu beginnen. So ist die Aussicht auf einen 100prozentigen Therapieerfolg am größten.
„Die Südtiroler Frau“: Was sind die Ziele der Rehabilitation?
Waltraud Kranebitter: Die Frau muss lernen, diese Körperregion bewusst zu spüren. Die Beckenbodenmuskulatur sollte in einem ausgewogenen Maß aktiviert, d.h. angespannt und entspannt werden können. Nur so ist die Voraussetzung gegeben, dass die Muskeln an Kraft gewinnen, die Koordination innerhalb der Beckenbodenmuskeln und die Ausdauer sich verbessern und nicht mehr frühzeitig ermüden. Nach einer gewissen Zeit wird die Beckenbodenmuskulatur automatisch im Alltag bei sämtlich notwendigen Bewegungen so integriert, dass sie sich von allein kräftig erhält.
„Die Südtiroler Frau“: Somit ist nicht eine monatelange Rehabilitation notwendig?
Waltraud Kranebitter: Im allgemeinen ist sie auf rund drei Monate beschränkt. Allerdings ist tägliches Üben erforderlich. Je bewusster ich mir werde, wie der Beckenboden über den Tagesablauf mitarbeitet, umso schneller trainiere ich ihn automatisch. Diese Automatisierung ist dann auch das Ziel. Dabei geht es nicht nur darum, den Beckenboden allein arbeiten zu lassen, sondern auch seine „Mitarbeiter“ müssen in einem zweiten Schritt bei der Rehabilitation berücksichtigt werden. Dies sind vor allem die Bauch- und Rückenmuskulatur, das Zwerchfell sowie die Beinmuskulatur.
„Die Südtiroler Frau“: Welche sind die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Rehabilitation?
Waltraud Kranebitter: Zum einen, dass die Muskulatur, das Bindegewebe und die Nerven weitgehend intakt sind. Zum anderen ist auch die Bereitschaft zur Mitarbeit ausschlaggebend. Einen 100prozentigen Erfolg kann man nie voraussagen. Aber durch die Rehabilitation kann eine deutliche Verbesserung bis hin zur vollständigen Heilung in Aussicht gestellt werden.
„Die Südtiroler Frau“: Hilft eine Beckenbodenrehabilitation auch bei anderen Senkungsbeschwerden?
Waltraud Kranebitter: Ja, z.B. bei Blasensenkung, bei Gebärmuttersenkung, bei der Senkung des Enddarms sowie bei Stuhlinkontinenz, ein Thema, das noch mehr tabuisiert wird und für Betroffene eine noch wesentlich größere Einschränkung der Lebensqualität bedeutet als die Urininkontinenz.
„Die Südtiroler Frau“: Inwieweit kommt eine Rehabilitation auch für Männer in Frage?
Waltraud Kranebitter: Männer sind meistens nur nach einer radikalen Prostataoperation von Inkontinenz betroffen. Durch die Operation wird Gewebe zerstört und die Muskulatur geschwächt. Eine Beckenbodenrehabilitation ist in diesem Fall meist zielführend.